Klimaentscheid Frankfurt, Blogbeitrag 4 2021

5 / 2021

Warum brauchen wir das CO2-Restbudget-Konzept?

Warum brauchen wir das CO2-Rest budget-Konzept?

Update April 2024 „Wo stehen wir beim CO2-Budget?“: Der SRU veröffentlicht neue Berechnungen zu einem verbleibenden CO₂-Budget für Deutschland ab 2024. Für eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 °C ist dieses deutsche CO₂-Budget nun aufgebraucht. Es stellt sich die Frage nach dem Umgang damit. Die Berechnungen beruhen auf aktuellen Emissionsdaten sowie verbesserten wissenschaftlichen Analysen zum verbleibenden globalen CO₂-Budget, die seit den letzten Veröffentlichungen des Weltklimarates erschienen sind.“ Auf diesem Hintergrund schlägt der Sachverständigenrat vor, künftig vom „Überschreitungsbudget“ zu sprechen und die ethischen und Klimagerechtigkeitsfragen und die Verantwortlichkeiten, die sich aus der Budgetüberschreitung ergeben, zu diskutieren, um so das Ausmaß der Zielverfehlung und der Verantwortung für Schäden und Verluste, sowie die Abwälzung der Kosten und Risiken auf künftige Generationen transparent zu machen. (20)

Update November 2022: Der Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hat eine gegenüber seinem Umweltgutachten 2020 (s.u. „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO₂-Budget“) aktualisierte Stellungnahme zum CO₂-Budget veröffentlicht: „https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf?__blob=publicationFile&v=13“.

Der Text erläutert nochmals Grundlagen, Methodik und Anwendung des CO2-Budget-Konzeptes und bezieht neuere Entwicklungen ein, wie den Bundesverfassungsgerichtsbeschluss zu den Klimaklagen von März/April 2021 und das daraufhin geänderte Klimaschutzgesetz (S.14 „Wie ordnet sich das deutsche Klimaschutzgesetz in Bezug auf das CO₂-Budget des SRU ein?). Die darin enthaltene aktualisierte CO₂-Budget-Berechnung für Deutschland ab 2022 enthält gegenüber unsrerer Berechnung (siehe unten letzter Abschnitt „Sechster Sachstandsbericht des Weltklimarates mit aktualisierter CO₂-Restbudget-Tabelle“) für das Klimaziel 1,75°C mit 67% Zielerrreichungswahrscheinlichkeit ein etwas höheres Maximalbudget (6,1 GT ab 2022 gegenüber 5,84 GT ab 2021 in unserer Rechnung), was möglicher Weise auf unterschiedliche Bezugsgrößen im IPCC-Bericht zurückzuführen ist. (Wir beziehen uns auf die Tabelle SPM.2, S.42 in der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung der Arbeitsgruppe 1 „Naturwissenschaftliche Grundlagen“ des 6. Sachstandsberichtes des IPCC, der jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt:https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf). Die Budgets für die anderen Klimaziele (1,5°C/50% bzw. 67%) sind fast gleich.

Derartige geringfügige Abweichungen sind aber nicht entscheidend gegenüber der Funktion des CO₂-Konzeptes, Klimapolitik messbar und transparent zu machen und ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, dass „jede Tonne CO₂-Emissionen die globale Erwärmung verstärkt“, weil sie das endliche CO₂-Budget reduziert und der Klimakatastrophe angemessenere ambitioniertere Klimaziele entsprechend erschwert.

In Pkt. 11 S. 12 „Ist die Budgetrechnung des SRU zu großzügig?“ wird erläutert, inwiefern und warum die vorgeschlagenen maximalen CO₂-Budgets des SRU zugunsten Deutschlands großzügig gewählt sind und als „gerade noch ausreichende Obergrenze, die nicht überschritten werden darf“, anzusehen ist. Dies kann als Erläuterung dienen, warum der SRU die 83% Zielerrreichungswahrscheinlichkeit aus der IPCC-Tabelle, die wir angesichsts der dramatischen Konsequenzen bei Überschreitung der Klimaziele zunächst unabhängig von der Realisierbarkeit für erforderlich halten, nicht in seine Tabelle aufgenommen hat.

Als weitere Ergänzung zu unserem Text wird in Pkt. 14. S. 15 „Aufgrund welcher impliziten Annahmen wird oft vertreten, dass die deutsche Klimapolitik auf einem 1,5 °C-Pfad sei?“ über Irrtümer in der deutschen Klimapolitik aufgeklärt.

Update Juni 2022: Wir freuen uns sehr, dass sich die Römerkoalition in ihren am 12.05.2022 im Stadtparlament beschlossenen Grundsatzbeschlüssen „Klimaneutrales Frankfurt 2035“ zum CO2-Budget-Konzept als Maßstab Ihrer Klimapolitik bekennt und warten gespannt auf dessen Umsetzung. In dem Beschluss heißt es: „Der Erfolg der kommunalen Klimaschutzanstrengungen misst sich einzig und allein an der Reduzierung von Treibhausgas (THG)-Emissionen. Das Ziel der Klimaneutralität ist dahingehend zu verstehen, dass sich Reduktionsziele und Zwischenziele dabei an den verbleibenden THG-Restmengen orientieren, welche in Frankfurt noch maximal emittiert werden dürfen, um den eigenen Beitrag zur Einhaltung des internationalen Abkommens von Paris sicherstellen zu können, und damit die Beiträge der Stadt Frankfurt einem errechneten Beitrag zur Einhaltung des Gesamtpfades zur Klimaneutralität entsprechen.“ (Antrag Nr. 316 v. 15.03.2022, am 12.05.2022 mit den Stimmen von GRÜNE, SPD, LINKE., FDP, Volt und ÖkoLinX-ELF im Stadtparlament beschlossen) (0)

(Stand Sept. 2021: Änderungen gegenüber der Version von Juli: 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates und Klimaklage gegen das Land Hessen berücksichtigt, siehe letzter Absatz)

Eine ausführliche, fünfzigseitige Auseinandersetzung mit dem CO2-Restbudget-Konzept findet sich in „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget“ (1), im 1.Kapitel des Umweltgutachtens 2020 des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU).

Das 1,5°C-Ziel ist völkerrechtlich und wissenschaftlich begründet

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 (2) verpflichtet die Unterzeichnerstaaten völkerrechtsverbindlich, die Erderwärmung auf „deutlich unter 2 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen“ und „Anstrengungen zu unternehmen, sie auf 1,5°C zu begrenzen“. Dabei gilt der „Grundsatzes der Gerechtigkeit und der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten.“ Für alte, reiche, technologisch fortgeschrittene Industriestaaten heißt das, dass sie einen größeren Beitrag zur Erreichung des gemeinsamen Zieles zu leisten haben.

Zudem hat der Sonderbericht „1,5-Grad globale Erwärmung“ (3) des Weltklimarates (IPCC) von 2018 das 1,5°-Ziel wissenschaftlich gut begründet, da bei einer stärkeren globalen Erwärmung Risiken irreversibler und unbeherrschbarer Instabilitäten des Erdsystems entstehen.

Warum brauchen wir das CO2-Restbudget-Konzept?

Wir können uns das am Beispiel eines Bankkontos vorstellen: wenn wir regelmäßig mehr ausgeben als einnehmen, unser Bankkonto aber nicht überziehen dürfen, müssen wir – fixe Einnahmen vorausgesetzt – unsere Ausgaben den Einnahmen angleichen. Würden wir unserer Bank sagen, dass wir das monatliche Defizit von 600 € jeden Monat gegenüber dem Vormonat um 5€ reduzieren werden, würde kein Mensch auf die Idee kommen, dieser „Lösung“ des Problems zuzustimmen, ohne den aktuellen Kontostand zu kennen. Ob die Addition der monatlichen Defizite in den 10 Jahren bis zum Erreichen eines ausgeglichenen monatlichen Saldos das aktuell verfügbare Guthaben überschreitet oder nicht, wäre ja reiner Zufall.

Ähnlich verhalten sich jedoch die Verantwortlichen auf allen politischen Ebenen (EU, Bund, Land, Kommune), wenn sie sich zum Pariser 1,5°C-Ziel bekennen und zur Einhaltung dieses Zieles CO2-Neutralität bis 2050 versprechen, selbst wenn sie Zwischenziele für 2030 angeben, z.B. eine Reduktion um 50% gegenüber 1990. Woher wollen sie wissen, ob sie damit das propagierte 1,5°C-Ziel einhalten?

Worauf basiert das CO2-Restbudget-Konzept?

Weil zwischen der Gesamtmenge der anthropogenen CO2-Emissionen und der Erderwärmung ein nahezu linearer Zusammenhang besteht (4) konnte der IPCC 2018 im o.g. 1,5°C-Sonderbericht in Kap.2, Tabelle 2.2, S.108, (5) das CO2-Restbudget eintragen, dass sich aus der Wahl einer max. Erwärmung (z.B. 1,5, 1,75 oder 2°C) und der Wahl der gewünschten Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung (33/50/67%) ergibt. (6) Dieses globale Restbudget lässt sich im Verhältnis zur Einwohnerzahl auf nationale oder auch kommunale Ebene beziehen, wobei historische Emissionen vernachlässigt werden. Unter Einbezug historischer Emissionen hätte Deutschland sein CO2-Budget bereits aufgebraucht (7).

Wie hoch ist das CO2-Restbudget?

(Die folgenden Berechnungen basieren auf o.g. IPCC-Tabelle von 2018, auf die sich auch der SRU Mai 2020 und das Bundesverfassungsgericht März 2021 beziehen. Wir haben diesen Bezug hier stehen gelassen, weil sich viele wichtige Texte auf diese Daten beziehen. Durch den 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates (AR6) sind diese Daten allerdings nicht mehr ganz aktuell, was an der Grundaussage wenig ändert. Im letzten Abschnitt haben wir die aktuellen Daten aus AR6 und die sich daraus ergebende neue Berechnung für das CO2-Restbudget für Frankturt a.M. aufgenommen.)

Auf dieser Tabelle basieren auch die CO2-Restbudget-Rechnungen für Deutschland von SRU (8). Demnach beträgt das deutsche CO2-Restbudget (1,1% der Weltbevölkerung) ab 2020 zum Erreichen eines 1,75°C-Zieles mit 67% Wahrscheinlichkeit 6,7 GT. Bei der gesamten Rechnung ist nur das sich in der Atmosphäre dauerhaft anreichernde CO2 berücksichtigt. Andere Treibhausgase (Methan, Lachgas u.a.) werden nicht betrachtet. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die 100 GT, die in der IPCC-Tabelle für den Fall von tauendem Permafrost angegeben sind (9), was leider bereits im Gange ist sowie Deutschlands Anteil am internationalen Luft- und Schiffsverkehr. Laut Umweltbundesamt sanken die THG-Emissionen (alle Gase) 2020 um 8,7 %. Damit wäre 2020 645 MT CO2 emittiert worden. Das CO2-Restbuget für Deutschland läge bei ca. 6 GT ab 2021 (1,75°C/67% Wahrscheinlichkeit).

Anteilig hätte Frankfurt mit 0,91% der deutschen Bevölkerung davon 54,6 Mio T CO2-Restbudget. Von den CO2-Emissionen in 2020 entfielen rechnerisch auf Frankfurt 5,9 Mio T. (Aktuelle Zahlen für Frankfurt liegen nicht vor). Würde Frankfurt in den folgenden Jahren diese Menge an CO2-Emissionen freisetzen, würde sein Restbudget für das 1,75°C-Ziel (67% Wahrscheinlichkeit) im 2. Quartal 2030 überschritten, bei linearer Reduktion der Emissionen Mitte 2039.

Die für das wachsende Frankfurt mangels aktueller Daten zugrunde gelegten anteiligen Werte dürften eher zu optimistisch sein und die nicht nachhaltige Emissionsminderung in 2020 durch die Pandemie stellt einen ebenfalls optimistischen Ausgangswert für die kommenden Jahre dar.

Vor allem aber ist das eigentliche Ziel einer max. Erwärmung von 1,5°C wissenschaftlich gut begründet, wird auch von der Stadt Frankfurt propagiert (9) und 67% Wahrscheinlichkeit für die Zielerreichung erscheinen eher wenig, als zuviel. Wenn wir uns auf ein 1,75°C-Ziel beziehen, bei dem global gesehen vermutlich hunderte Millionen mehr Menschen von der Klimakrise negativ betroffen sein werden und auch für Frankfurt die Folgen von Hitze, Dürren und Wetterextremen deutlich gravierender ausfallen werden, dann deshalb, weil das eigentlich notwendige 1,5°C-Ziel aufgrund mangelhafter Klimapolitik bereits als nicht mehr erreichbar angesehen wird. Das sollte dann aber auch deutlich gesagt und die Konsequenzen benannt werden.

Wenn wir also das CO2-Restbudget berücksichtigen, dann wird transparent, dass selbst auf Basis der Corona-bedingt verringerten CO2-Emissionen in 2020 und etlicher weiterer nicht berücksichtigter Faktoren, zum Erreichen des angestrebten 1,5°C-Ziel, CO2-Neutralität bei linearer Reduktion bereits in weniger als 6 Jahren, 2027 erreicht sein müsste und nicht erst in 29 Jahren, 2050. Die Rechnung zeigt also, dass die derzeitigen Klimapläne in ihrem Ambitionsniveau das Ziel bei weitem verfehlen, von den Umsetzungsdefiziten ganz abgesehen.

Warum das CO2-Rest-Budget-Konzept wichtig ist, auch wenn das damit errechnete Ziel unerreichbar scheint?

Das CO2-Restbudget Konzept schafft Transparenz in Bezug auf unsere Klimaziele und macht deutlich, dass das wichtige 1,5 °C-Ziel, das vor Instabilitäten des Erdsystems bewahren soll, wenn überhaupt, nur noch mit radikalen sofortigen Emissionsminderungen erreicht werden könnte. Das bedeutet, dass jede heute emittierte Tonne CO2 irreversibel zu einer höheren Erderwärmung beiträgt.

Da jedes zusätzliche Zehntel-Grad Erderwärmung die Risiken erhöht, Klima-Kipppunkte zu überschreiten und das Erdsystem in einen instabilen Zustand zu versetzen, hilft das CO2-Restbuget-Konzept zu verstehen, was es bedeutet, wenn Klimawissenschaft und -bewegung davon sprechen, dass wir für die notwendige Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise keine Zeit mehr zu verlieren haben.

Auch Verfahren zum Entzug von CO2 aus der Atmosphäre (Negativemissionen, CCS) bieten hier keinen Ausweg. Einerseits weil sowieso schon für alle IPCC-1,5°C-Szenarien davon ausgehen, dass die 1,5°C-Marke temporär überschritten wird und in der zweiten Jahrhunderthälfte Negativemissionen erforderlich sind, dieser Reduktionseffekt also in den Daten bereits berücksichtigt ist. Andererseits und obwohl die technischen Verfahren unausgereift sind, viel teurer als vorherige CO2-Einsparungen und mit Risiken behaftet sind, sowie keinesfalls ausreichen würden, um eine unzureichende CO2-Reduktion im Vertrauen auf diese Verfahren zu kompensieren (10) .

Wir müssen also davon ausgehen, dass das, was wir heute klimapolitisch tun oder unterlassen, sich für hunderte und tausende von Jahren auf das Erdsystem auswirkt. Wir riskieren, dass eine über 1,5°C oder gar über 2°C erwärmte Welt kein stabiles System mehr darstellt, weil sich selbst verstärkende Prozesse auch nach Erreichung globaler CO2-Neutralität für weitere Erwärmung sorgen.

Mir hat das CO2-Restbudget-Konzept geholfen zu verstehen, dass es heute zwar noch unvermeidliche, aber keine ungefährlichen CO2-Emissionen mehr gibt. Die vermeidbaren also sofort vermieden werden müssen und die heute noch unvermeidbaren so schnell möglich. Für die Politik sind solch langfristige Überlegungen offenbar leider systematisch verstellt. Das dürfte ein Grund sein, warum auf allen Ebenen der Politik bislang ein CO2-Restbudget-Konzept, das die Wahrheit über die propagierten Klimaziele, -pläne und -maßnahmen sagt, bislang erfolgreich vermieden wurde.

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zu den Klimaklagen (11) erlangt das CO2-Restbudget-Konzept quasi Verfassungsrang

Das Verfassungsgericht nimmt die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Weltklimarat (IPCC) und den Beratungsgremien der Bundesregierung (SRU), sowie die aus dem Pariser Vertrag von 2015 sich ergebenden Verpflichtungen ernst.

Es erkennt im Pariser Übereinkommen und der Verpflichtung, Anstrengungen zu unternehmen, die Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit auf 1,5-Grad zu begrenzen eine Konkretisierung des in der Verfassung, Art. 20a GG (12), geforderten Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen auch der künftigen Generationen (vgl. u.a. Leitsatz 2d).

Es anerkennt in Übereinstimmung mit IPCC und SRU, dass es des CO2-Restbudgets-Konzeptes bedarf, um die Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen an den in Temperatur Graden angegebenen Klimazielen zu messen.

Es stellt daher fest: „Es ist das Verfassungsrecht selbst. das mit jedem Anteil, der vom endlichen CO2-Budget verzehrt wird, umso dringlicher aufgibt, weitere CO2-relevante Freiheitsausübung zu unterbinden.“ (Randnotiz 187). Und zwar deshalb, weil das verbleibende minimierte CO2-Restbudget unweigerlich unzumutbare künftige Freiheitseinbußen für die junge Generation zur Folge hätte.

Es fühlt sich offenbar von Bundesregierung (und Bundestag) – die in diesem Verfahren (Rn. 69) die Verwendung des Restbudget-Konzeptes in peinlich unlogischer Weise ablehnen – genötigt, ihnen dieses von deren eigenen Beratungsgremien detailliert dargelegte und empfohlene Konzept zu erklären (13) und legt nahe, dass sich die Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes (KSG) fälschlicher Weise noch an dem durch das Pariser Abkommen überholten 2-Grad-Ziel orientieren (Rn. 166 und 242).

Es stimmt mit den Kläger:innen überein, dass, wer dieses Konzept ignoriet eine „Klimapolitik ins Blaue hinein“ (Rn. 218) betreibt und fordert dazu auf dem CO2-Restbudget Rechnung zu tragen (Rn. 229).

Im Frankfurter Koalitionsvertrag zwischen Grünen, SPD, Volt und FDP (14) taucht weder das 1,5-Grad-Ziel auf, noch das CO2-Restbudget- Konzept.

Klimaneutralität wird für 2035 angestrebt. Daraus läßt sich unter Nutzung unserer mit dem CO2-Restbudget erstellten obigen Tabelle ableiten, dass das 1,5-Grad Ziel nicht angestrebt wird. Bei linearer Reduzierung der Emissionen würden wir bis 2035 eine THG-Menge emittieren, die einer Erderwärmung etwas unter 1,75-Grad entsprechen würde. Bedenken wir die bei dieser Rechnung nicht berücksichtigten Faktoren, können wir von 1,75-Grad sprechen. Im Nov. 2019 hatte unsere alte und neue grüne Umweltdezernentin Rosemarie Heilig bei der Vorstellung der Klimaallianz das 1,5-Grad-Ziel noch für “selbstverständlich” erklärt. (15)

In normalen Zeiten würde man das 1,75-Grad-Ziel als sehr ambitioniert bezeichnen. Wir befinden uns jedoch mitten in der Klimakrise. Das 1,5-Grad-Ziel gar nicht mehr anzustreben, widerspricht der Pariser Klimavertrag. Was ist das für ein Signal, wenn sich die scheinbar „grünsten“ Kräfte in den Metropolen der reichsten und technisch entwickeltsten Länder, mit den höchsten historischen CO2-Emissionen, still und heimlich von ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Vertrag verabschieden? Vielleicht ist das 1,5-Grad-Ziel selbst für uns tatsächlich nicht mehr erreichbar. Aber es besteht die Pflicht, es zu versuchen, die eigenen Anstrengungen daran orientieren. Wer das aufgibt, sollte es zumindest begründen, die Konsequenzen eines solchen Schrittes offenlegen und die Verantwortung dafür übernehmen. Nichts davon im Koalitionsvertrag, aber 44 mal kommt das Wort „Transparenz/transparent“ vor.

Sechster Sachstandsbericht des Weltklimarates mit aktualisierter CO2-Restbudget-Tabelle

Der Weltklimarat (IPCC) ist eine 1988 gegründete Institution der Vereinten Nationen. In seinem Auftrag tragen WissenschaftlerInnen weltweit den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen und bewerten ihn anhand anerkannter Veröffentlichungen (16). Im August 2021 erschien mit dem Beitrag der „Arbeitsgruppe I: Naturwissenschaftliche Grundlagen“ (WGI) der erste Teil des sechsten IPCC-Sachstandsberichts (AR6) (17). Das Umweltbundesamt stellt den Bericht unter die Überschrift: „Klimawandel verläuft schneller und folgenschwerer“ (18). So stellt der neue Bericht u.a. erstmalig fest: „Viele Veränderungen aufgrund vergangener und künftiger Treibhausgasemissionen sind über Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar, insbesondere Veränderungen des Ozeans, von Eisschilden und des globalen Meeresspiegels.“ (Hauptaussagen B.5) Der neue Sachstandsbericht erkennt höhere Risiken bei höheren Prognosesicherheiten. Gleichzeitig führen geänderte Berechnungsmethoden für das CO2-Budget zu einem höheren CO2-Restbudget im Vergleich zu den in der obigen Tabelle zugrundeliegenden Daten aus 2018. Der maximale Wahrscheinlichkeitsgrad der jeweiligen Temperaturzielerreichung steigt von 67% auf 83% . Eine Zusammenfassung der „Erkenntnisse des Sechsten Sachstandsbericht des IPCC“ mit aktualisierter CO2-Restbudget-Berechnung findet sich in der von der Deutschen Umwelthilfe unterstützten Klimaklageschrift gegen das Land Hessen (19). Die Klageschrift diskutiert auch die verbleibenden Unsicherheiten bei der Budgetberechnung (S. 25ff.) und leitet aus dem globalen ein nationales (S.28f.) und ein hessisches (S. 30) CO2-Restbudget ab. Ergänzt um den CO2-Buget-Anteil für Frankfurt lässt sich auf dieser Basis die folgende Tabelle ermitteln. Das in den Klimaklagen beim CO2-Budget auf 1,7 °C fokussiert wird, weniger auf 1,5 °C, obwohl im Pariser Abkommen explizit zu Anstrengungen aufgefordert wird, die Erderwärmung auf max. 1,5 °C gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen, dürfte den nach wie vor bestehenden Unsicherheiten bei der exakten Budgetberechnung geschuldet sein, die einen größeren Ermessensspielraum beim beklagten Gesetzgeber zur Folge haben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Klimaurteil aber auch darauf hingewiesen, dass bei fortschreitendem Klimawandel und erhöhter Prognosesicherheit strengere Temperaturziele und Budgetgrenzen erforderlich werden können, was bereits durch AR6 belegt sein könnte. Unabhängig von solchen rechtlichen Gesichtspunkten bestehen die Unsicherheiten der Budgetangaben natürlich zu beiden Seiten: sie können sich ebenso als zu groß, als auch als zu klein erweisen. Das angegebene Budget bildet den plausibelsten Mittelwert ab. Außerhalb der Gerichtssäle sehen wir zunächst keinen Grund, von den nach wie vor auf allen Ebenen zu vernehmenden Bekenntnissen zu „Paris“ und dem 1,5-Grad-Ziel abzurücken und ebenso wenig, uns nicht an das Budget für die wahrscheinlichste Zielerreichung zu halten. AR6 belegt, dass die Erderwärmung bereits heute bei 1,1-Grad Erwärmung irreversible Folgen hat, dass also die unumgängliche weitere Erwärmung auf 1,5-Grad weitere große Veränderungen und Risiken birgt und mit jedem Zehntel Grad zusätzlicher Erwärmung diese Veränderungen und Risiken weiter wesentlich ansteigen. Als maßgebliche Orientierungsmarke für verantwortliche , Paris-konforme Klimapolitik ist daher das CO2-Restbudget für das 1,5-Grad-Ziel mit 83% Zielerreichungswahrscheinlichkeit anzusehen, unabhängig davon, wie groß die Chance ist, es nicht zu überschreiten. Heute wissen wir, dass die überproportionale Reduktion der Emissionen in 2020 nicht nachhaltig, sondern v.a. Pandemie bedingt waren und 2021 leider wieder mit einem Anstieg der Emissionen zu rechnen ist. Daher ist es unrealistisch, wie in unserer Tabelle oben, den Frankfurter Anteil von 5,9 Mio.T CO2 an den deutschen Emissionen aus 2020 für eine Projektion des Zeitpunktes zugrunde zu legen, an dem das Budget bei gleichbleibenden Emissionen aufgebraucht sein würde. Wir entscheiden uns daher mit 6,2 Mio.T. für einen Mittelwert zwischen 6,5 aus 2019 und 5,9 aus 2020.

Wenn wir angesichts unserer besonderen Verantwortung als alter Industriestaat mit einer hohen Zielerreichungswahrscheinlichkeit unserem Anteil am Einhalten der 1,5-Grad-Grenze max. Erderwärmung gerecht werden wollten, müssten wir bei linearer Reduktion unserer CO2-Emissionen anstreben, in weniger als 4 Jahren Klimaneutralität zu erreichen. Das dürfte zwar beim besten Willen kaum möglich sein, zeigt aber dafür nur umso deutlicher, dass wir unsere Treibhausgas-Emissionen so schnell wie möglich reduzieren und Klimaneutralität erreichen müssen, um das vielleicht unvermeidliche Überschreiten dieser Grenze und die daraus resultierenden dramatischen Folgen so gering zu halten wie möglich und die Chance zu wahren, nach Erreichen der Klimaneutralität durch Negativemissionen Klimastabilität herzustellen. (20) „Jede Tonne CO2-Emissionen verstärkt die globale Erwärmung.“ (SPM-37)

Quellen

(0) https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?GREMIUM=&JAHR=2022&JAHR_O=gr%F6%DFer%20gleich&DATUM=31.12.2022&DATUM_O=kleiner%20gleich&TEXT=Klimaneutrales%20Frankfurt%202035&TEXT_O=beinhaltet%20%28und%29&FORM_C=und&DOKUMENTTYP=NIED&FORMFL_OB=DATUM&FORM_SO=Absteigend&?6?1
(1) https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Kap_02_Pariser_Klimaziele.pdf?__blob=publicationFile&v=22
(2) https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/paris_abkommen_bf.pdf
(3) https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimawandel/weltklimarat-ipcc/sonderbericht-des-weltklimarates-ueber-15degc
(4) s. Anmerk. 1 Graphik S. 41 SRU 2020
(5)  https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/sites/2/2019/05/SR15_Chapter2_Low_Res.pdf
(6) Diese Tabelle wird vermutlich im nächsten IPCC-Sachstandsbericht Ende 2021/Anfang 2022 aktualisiert. Die Restbudgets könnten dann geringer ausfallen.
(7) s. Anmerk. 1 S. 50 SRU 2020
(8) s. Anmerk. 1 S. 52 SRU 2020
(9) https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?TEXT=M+199&TEXT_O=beinhaltet+%28ungef%E4hr%29&FORMFL_OB=DATUM&FORM_SO=Absteigend&?402?79?
(10) s. Anmerk. 1 S. 62 ff. SRU 2020
(11) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html;jsessionid=5F649CC29FE166A891D297F6A6BE719D.2_cid386 Ein kurzes Video der Rechtsanwältin von Louisa Neubauer u.a. Beschwerdeführer:innen erläutert den Spruch: https://www.youtube.com/watch?v=uZz8Gtg208U (6 Minuten)
(12) “Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung”
(13) s. Anmerk. 1
(14) https://fdp-frankfurt.de/wp-content/uploads/sites/6/2021/05/Koalitionsvertrag-Ein-neues-Frankfurt-gestalten.pdf Ich beziehe mich an dieser Stelle nur auf den Aspekt des im Koalitionsvertrag fehlenden 1,5-Grad-Zieles und CO2-Restbudgets. Andere Aspekte, wie z.B. die Finanzierungsfrage, werden wir an anderer Stelle behandeln.
(15) Natürlich auch ohne es mittels CO2-Restbudget zu operationalisieren.
(16) https://www.de-ipcc.de/media/content/De-IPCC_Flyer_Der_Weltklimarat_IPCC_BITV.pdf
(17) AR6-WGI: Hauptaussagen aus der „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ (SPM) in deutscher Übersetzung: https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-WGI.pdf. Gesamte SPM in englischer Sprache (42 Seiten) (deutsche Übersetzung ist für Herbst angekündigt): https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_SPM.pdf Gesamtbericht (3949 Seiten): https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Full_Report.pdf
(18) https://www.umweltbundesamt.de/print/89510
(19) Verfassungsbeschwerde gegen das Land Hessen wg. Unterlassung eines Klimaschutzgesetzes, S. 10 ff. : https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Pressemitteilungen/Umweltpolitik/Klimaschutz/210913_PK_L%C3%A4nderklagen/Verfassungsbeschwerde_Klimaschutz_Hessen_final_geschw%C3%A4rzt.pdf (20) Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) erläutert in seiner Studie „Über Klimaneutralität hinausdenken“ (Juli 2021), dass Klimaneutralität nur der erste Schritt zur Klimastabilisierung ist, dem die Stärkung der Biosphäre und CO2-Entfernung aus der Atmosphäre folgen müssen. https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/pp12-2021
(20) https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_03_CO2_Budget.html

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